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Inklusive Arbeitswelt
RO/SE: Versuchen Sie es!
Man kann davon ausgehen, dass im niederbayerischen Rottal schon sehr viele Buben auf den Namen Josef getauft wurden. Und auch davon, dass die meisten von ihnen erst Sepperl gerufen wurden und später Sepp. Wenn also in dieser „seppreichen Gegend“ einer DER Rottaler Sepp genannt wird, muss er schon irgendwie herausragen. Josef Brunner ist der Rottaler Sepp und er ragt in mehrerlei Hinsicht heraus. Zum Beispiel, weil in seinem Unternehmen nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, fünf Prozent Beschäftigte mit Schwerbehinderung arbeiten. Sondern 50 Prozent.
Über Josef Brunner
Der Spenglermeister verlegte sich im Jahr 2000 von der Blechverarbeitung auf die Herstellung von Heizungen für Schaltschränke. Heute ist Josef Brunner als Unternehmer international erfolgreich. Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, war für ihn zunächst eine Glaubensfrage – und dann ein Erfolgsmodell.
Meine Meinung
„Wer etwas kann, kommt weiter. Bei mir sind acht Beschäftigte mit Behinderung Gruppenführer.“
Ein schnelles Leben. Und dann: Vollbremsung
Irgendwie hat Josef Brunner immer mehr geschafft als die meisten anderen. Die Ausbildung zum Spengler, die Meisterschule, die Karriere als Ausbilder, Vorarbeiter, Betriebsleiter, schließlich den Aufbau des eigenen Handwerksbetriebs. Nebenher organisierte er Messen, Feste, war in Vereinen und Verbänden aktiv. Irgendwann merkte er: Sein Handwerk hatte im Rottal keinen goldenen Boden mehr. Josef Brunner, seit jeher Tüftler und Entwickler, erfand sich daraufhin selbst neu. Er begann, kleine Heizgeräte zu bauen, die in handlichen Automaten genauso wichtig sind wie in Windkraftanlagen. Sie sorgen z. B. dafür, dass in Parkscheinautomaten die frisch gedruckten Parkkarten trocken und sauber ausgegeben werden. Sie halten in Schaltschränken die Temperatur konstant und vermeiden, dass sich Kondenswasser bildet. In Garagen schaffen sie Wohlfühlklima – für Autoteile, versteht sich.
2003 gestaltete Josef Brunner seinen Betrieb komplett um und startete neu durch. Die Produkte seiner Firma RO/SE – als Kurzform für „Rottaler Sepp“ – eroberten rasch die Märkte im In- und Ausland.
2005 erfuhr er, dass in seinem Gehirn ein Tumor wuchs. Ein Moment, in dem ein schnelles, pralles Leben eine Vollbremsung hinlegte. Wie ein scharfer Schnitt teilte die Diagnose seine Existenz in zwei Hälften. Vor der OP. Nach der OP. Gut möglich, dass der Rottaler Sepp, der Macher, der sich von nichts aufhalten ließ, nach der Operation schwerbehindert sein würde. Er legte ein Gelübde ab: „Wenn ich gesund nach Hause komme, baue ich ein Marterl im Garten und stelle Menschen mit Behinderung ein.“
Alles ging glatt. Von Anfang an.
Josef Brunner überstand die Operation gut. Als er nach Hause zurückkehrte, ging er in den Garten und baute einen Bildstock. Dann suchte er im Internet nach Informationen. Er fand die Website der Bayerischen Behindertenbeauftragten Irmgard Badura; sie verwies ihn ans zuständige Inklusionsamt. Hier finden Menschen mit Behinderung und Arbeitgeber Infos, Beratung, Begleitung. Und dann? „Dann ging alles glatt“, nickt Josef Brunner, „von Anfang an.“
Fördermittel und Lohnkostenzuschüsse
Mit Fördermitteln des Inklusionsamts richtete er neue, behindertengerechte Arbeitsplätze ein. Der Produktionsbereich im Erdgeschoss ist ebenerdig, mit breiten Türen, freien Laufwegen und einer Behindertentoilette. Deichselstapler ersetzen die Körperkraft, wenn z. B. schwere Metallplatten bewegt werden müssen. Zu den Büros im ersten und zweiten Stock führt ein Lift. RO/SE beschäftigt rund ein Drittel Fachkräfte und zwei Drittel angelernte Arbeiterinnen und Arbeiter. Über das Arbeitsamt, mit Anzeigen und vor allem über Mund-zu-Mund-Propaganda fand Josef Brunner Bewerberinnen und Bewerber mit Schwerbehinderung. Einige von ihnen waren schon seit Jahren auf Jobsuche, nachdem sie z. B. wegen eines Unfalls nicht mehr in ihrem erlernten Beruf arbeiten konnten. Bei RO/SE lernten sie das Löten und Schrauben, die Abläufe im Betrieb – und konnten herausfinden, welche Tätigkeit ihren Fähigkeiten entsprach.
„Wenn’s pressiert, dann hauen alle rein.“
Nach und nach wuchs das Team. Menschen mit Gehbehinderung, Sehbehinderung oder Lernbehinderung arbeiteten Hand in Hand mit der alten Belegschaft. Die Stimmung war und ist gut. „Wenn ich neue Leute einstelle, die keine Behinderung haben, mache ich von Anfang an klar: `Der Kollege mit Behinderung ist genauso wichtig und wertvoll wie du´“, sagt Josef Brunner. Seine Erfahrung: „Das Geben und Nehmen fördert den Zusammenhalt.“ Ein Mitarbeiter, der nicht lesen und schreiben kann, ist an der Werkbank fit. Wer sich nicht bücken oder schwer heben kann, nützt technische Hilfen. Die fördern auch die (Rücken-)Gesundheit im Team. Weiterkommen können alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Heute besetzen längst auch Beschäftigte mit Schwerbehinderung die Positionen als Gruppenführer. „Und wenn’s pressiert, dann hauen alle miteinander rein. Dann kann es schon sein, dass ein schwerbehinderter Kollege die anderen mitzieht.“
Rat und Tat vom Integrationsfachdienst
Vor Ort begleitet ein Integrationsfachdienst das Unternehmen und seine Beschäftigten und ist mit Rat und Tat zur Stelle, wenn es im Miteinander knirscht. Die Wirtschaftskrise traf auch RO/SE. „Die Banker haben als Erstes gesagt, dass ich Leute ausstellen muss. Ich habe ihnen geantwortet: Soll ich Menschen mit Schwerbehinderung ausstellen? Dann müsst Ihr sie aussuchen …“ Der Integrationsfachdienst unterstützte RO/SE auch bei dieser Aufgabe. Er entschied danach, welche der Beschäftigten bessere Chancen haben würden, eine neue Stelle zu finden.
Miteinander an die Spitze
Vor einigen Jahren hatte RO/SE noch rund 40 Beschäftigte, Anfang 2016 sind es knapp 30. Josef Brunner hat sich vom Geschäft mit China getrennt, das viel Umsatz brachte, auch viele Probleme, aber wenig Gewinn. „Heute“, sagt Brunner, „sind wir mit unseren schwerbehinderten Mitarbeitern international sehr erfolgreich – und bei der Qualität die Nummer eins.“
Inklusion als Imagefaktor
Präzise, handgefertigte Standard- und Sonderprodukte und sehr kurze Lieferzeiten: RO/SE hat sich nicht nur in der Branche einen Namen gemacht, sondern verbreitet mit seinem Erfolgsmodell auch die Idee des sozialen Miteinanders. „Unser Ansehen ist über die Jahre immer mehr gestiegen. Und wir bekommen immer positive Reaktionen. Nicht nur von Menschen mit Behinderung. Ich gelte nicht als `behindertenfreundlich´, sondern einfach als sozialer Arbeitgeber. Die Leute denken sich: `Wenn der Rottaler Sepp sich auf Menschen mit Behinderung einstellt, dann kümmert er sich auch um meine Belange als Mutter oder Vater – oder als pflegender Angehöriger.´“
… Sie riskieren doch nichts!
„Ich will Menschlichkeit leben“, sagt Josef Brunner. „Ich will eines Tages sagen können: Ich habe es wenigstens versucht.“ Sein Tipp an Arbeitgeber: „Versuchen Sie es, Sie riskieren doch nichts! Sie haben ein halbes Jahr Probezeit, um sich gegenseitig kennenzulernen.“
RO/SE: der Preisträger im Video
RO/SE wurde 2011 wurde mit dem Inklusionspreis „JobErfolg“ ausgezeichnet. Im YouTube-Kanal des VdK sehen Sie ein Videoporträt des Unternehmens: Zum Video: RO/SE, Bad Birnbach